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"Nose to tail" oder: Rechts und links vom Filet

 

Filet, Roastbeef, Rib-Eye Steak ...

 

Ja, da läuft wohl jedem Fleischliebhaber das Wasser im Mund zusammen. Denn die aufgezählten Teile zählen zu den saftigsten, zartesten und wohl beliebtesten Fleischstücken vom Rind.

 

Es muss jedoch erwähnt sein, dass es sich hierbei um reines Muskelfleisch handelt, welches auch lediglich vom Rückenteil des Rindes stammt. Naja, aber das Rind besteht schliesslich nicht nur aus Rücken. Was nun passiert mit dem Rest des Rindes?

 

Es ist erschreckend, dass bei einem Schlachttier mehr als die Hälfte Fleischstücke ausmachen, welche bei den Konsumenten weniger beliebt sind – wie zb Sied- und Schmorfleisch, Wurstfleisch, Gliedmassen, Innereien und Schlachtnebenprodukte (Zunge, Kopf, Schwanz, etc). Beim Hiehnli sind es ganze 66%, beim Kalb 65%, beim Rind 63% und beim Schwein 54% (Quelle Proviande). Also mehr als die Hälfte des Tieres landet bei uns nicht oder eher selten auf dem Teller.

Wieso ist das so und was passiert mit dem Rest?

 

Die Vermarktung sowie die Nachfrage von den edlen Fleischstücken ist ein Produkt von Wohlstand und Fortschritt. Unsere Vorfahren, genauer die Neandertaler, kannten dieses „Phänomen“ wohl kaum. Wenn mal ein Tier erlegt wurde, dann wurde es auch vollständig verwertet. Dies schon aus überlebenstechnischen Gründen. Denn es musste schliesslich auch eine ganze Familie davon ernährt werden. Auch heutzutage – vor allem in Ländern mit weniger Wohlstand, oder in bäuerlichen Gegenden – sind es Menschen gewohnt, das geschlachtete Tier gänzlich zu verwenden. Ja, und auch unser Grosi kennt sich noch aus mit Innereien, Schmorbraten und Haxen. Die Generationen danach hatten vor allem hierzulande das grosse Glück, ohne Kriege und Armut aufwachsen zu dürfen. Wir wurden wohlhabend und verwöhnt, so sehr, dass wir das „andere Fleisch“ – Fleischstücke, welche weniger edel sind – kaum noch kennen, geschweige denn zubereiten können. Wir haben schlichtweg genügend Geld, um uns die „Edelstücke“ zu leisten. Auch das Phänomen des heutigen Zeitdrucks ist wenig hilfreich. Weniger edle Fleischstücke muss man oft aufwändiger Vor-und Zubereiten und über mehrere Stunden kochen, damit sie gut geniessbar sind. Zudem ist es auch so, dass wenn man als Konsument bestimmte Schlachtnebenprodukte kaufen möchte, diese beim Metzger im Voraus bestellen muss. Das nehmen leider viele nicht in Kauf …

 

Vom Tier zum Produkt

 

Wir essen vor allem die Edelstücke der Tiere. Am liebsten Stücke ohne Haut, Knochen und Fett. Und alles was das Tier als eben dieses erscheinen lässt – also Füsse, Schwanz, Kopf oder Innereien– möchte man eher ungerne auf dem Teller haben. Denn das Tier wird nicht mehr als solches wahrgenommen, sondern lediglich als Produkt. Ein Stück Fleisch eben.

Die Nachfrage nach den unbeliebteren Fleischstücken ist in der Schweiz sogar so stark gesunken, dass diese zu Tierfutter und Energierohstoff verarbeitet oder ins Ausland exportiert werden. Auf der anderen Seite stieg die Nachfrage nach den Edelfleischstücken immer mehr an, so sehr, dass die Innlandproduktion nicht mehr nachkommt und wir Fleisch von überallher importieren müssen. Im Jahr 2016 wurden 22% des Rindfleisches für den Schweizer Fleischkonsum aus dem Ausland importiert. Beim Schwein waren es 5% und beim Geflügel ganze 45% (Quelle Proviande). Und das Angebot richtet sich bekanntlich an der Nachfrage. So finden wir im Supermarkt nur noch wenig Innereien, Öhrchen oder Schnäuzchen. Oft werden vor allem die schönen und beliebten Fleischteile im Kühlregal angepriesen und hervorgehoben. Schlachtnebenprodukte bekommt man meinst nur noch bei der Metzgerei und auch meist nur auf Vorbestellung.

 

Hoffnung von Kopf bis Fuss

 

In der Gesellschaft braucht es ein Umdenken. Und dieses kommt peux à peux. Wir setzen uns immer mehr mit Ökologie und Nachhaltigkeit auseinander. Dabei sind auch Foodwaste und Tierwohl grosse Themen und wir fangen wieder an den Tieren mehr Respekt zu zollen sowie nachhaltig und verantwortungsvoll zu denken und zu handeln. Denn letztlich lieg es auch beim Konsumenten einen Wandel in der Fleischproduktion und -verwertung zu erlangen. Durch eine grössere Nachfrage von Schlachtnebenprodukten und den weniger edlen Fleischstücken kann der Markt aber auch unsere Einstellung zu den Schlachttieren nachhaltig verändert werden.

 

„Nose to tail“ ist ein Begriff, denn wir vor allem in der Gastronomie immer wieder hören. Es geht darum, dass wir nicht nur die besten Teile eines Tieres verwerten, sondern das ganze Tier von „nose to tail“, also von der Nase bis zum Schwanz. Es gibt viele gute Gründe, welche für diese Einstellung sprechen:

 

  • Weniger Foodwaste (da auch die Schlachtnebenprodukte verwertet werden)
  • Weniger Importware und CO2 Ausstoss
  •  Günstigere und abwechslungsreichere Menüs (Schmorbraten oder Nierli sind weniger kostenintensiv als Filet oder Roastbeef)
  •  Kennenlernen neuer Rezepte mit der Vielfalt an unterschiedlichen Fleischarten
  • Ethik und verantwortungsbewusstes Handeln (Respekt der Tiere)

 

Die Gastronomie spielt eine wichtige Rolle

 

Die Gastronomie als Trendsetter und Anbieter einer kulinarischen Vielfalt spielt bei dem Konsum- und Essverhalten eine wichtige Rolle. Da rund die Hälfte des Fleischkonsums nicht in den eigenen vier Wänden stattfindet, sondern in Restaurants und Kantinen, kann die Gastronomie unser Essverhalten nachhaltig beeinflussen. So isst man auswärts eher mal Läberli, Nierli, Rindsbäckli oder Ochsenherz und lässt sich vielleicht auch für zu Hause von solchen Menüs inspirieren.

 

In der Schweiz gibt es einige Restaurants, welche ihr Menü nach der Philosophie „Nose to tail“ aufgebaut haben. Aber auch direkt bei Bauern oder beim Metzger (Vorbestellung beachten) können fast alle Teile des geschlachteten Tieres erworben werden. Es gibt auch verschiedene Events, wie beispielsweise die „Metzgete“ im Herbst, wo schlachtfrische Gerichte wie Blut-und Leberwurst, Speck, Innereien und anderes serviert wird.

 

Am Markt und in Organisationen findet eine Bewegung statt und das Thema „Nose to tail“ wird diskutiert. So bietet die Branchenorganisation „Proviande“ für Gastronomen und Fleischfachleute Projekte an, um diese bei der vollständigen Verwertung (Verarbeitung und Vermarktung) von Schlachttieren zu unterstützen.

Aber auch wir Konsumenten kommen nicht zu kurz. So gibt es Kochkurse, Kochbücher und viele Rezepte, womit wir uns über die Verwertung und Zubereitung des ganzen Tieres informieren können.

 

Hier einige Links:

 

Rezepte

 

 

Kochbücher

 

  • „Nose to tail“ von Fergus Hernderson
  • “Fleisch” von Simon Tress und Georg Schweisfurth

 

Fazit

 

Retro ist Trend. Taillenhosen, antike Möbel und Schallplatten sind wieder "in". Wieso soll das nicht auch aus kulinarischer Sicht gelten? Das Motto soll auch hier heissen: „Back to the roots“, oder im konkreten Fall „from nose to tail“! Es soll jedoch nicht zum Trend werden, sondern viel mehr zu einer Lebenseinstellung. Wir müssen wieder lernen, die Lebewesen, welche mit uns auf der Erde leben zu respektieren und dankbar dafür zu sein, dass sie uns ernähren. So weltverbesserisch das jetzt auch klingen mag, aber die Tiere, welche für das Essen auf unserem Teller sterben müssen, haben es verdient, vollständig und ganzheitlich verwertet zu werden. Manchmal muss man auch über den eigenen Schatten springen und mal wieder etwas „Neues“ ausprobieren. Ich kann euch sagen, dass Rinderzunge mit einer Madeirasauce oder saure Leberli ganz wunderbar schmecken! Na dann, viel Vergnügen beim Ausprobieren und en Guete!

 

(Quellen zum Blog: Proviande.ch, Schweizerfleisch.ch)

 

 

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