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Reisen in Lateinamerika, oder: Wo Abfall auf den Bäumen wächst

Müll, Müll, Sondermüll!

Mit Reisen in Lateinamerika verbinden viele traumhafte Strände, hohe Palmen, tropische Früchte und farbenfrohe Städte. Ja, das sahen wir. ABER was wir auch sahen war die „andere“ Seite. An keinem Ort, wo ich jemals unterwegs war, war der Kontrast zwischen Reichtum und Armut, zwischen Bildung und Unwissen, sowie zwischen Sauberkeit und Verwüstung so gross, wie auf unserer Reise durch einen Teil von Zentral- und Südamerika. Was wir klar erkennen konnten: Je ärmer die Menschen, desto weniger Bildung, desto schlimmer stand es um den nachhaltigen Umgang mit unserer Umwelt. Wir sahen BER-GE von Müll! Überall lag er: Auf der Strasse, im Wald, am Strand, im Wasser, in der Wüste und sogar in Naturschutzgebieten. Plastikabfall hing in den Bäumen, kaputte Kühlschränke lagen auf der Strasse, PET schwamm im Meer, Sofas wurden im Fluss „entsorgt“, alte Schiffe im Wasser versenkt und Abfall aus den fahrenden Bussen geworfen.

 

Recycling und Umweltschutz

Der Anblick dieser Zustände war für mich fast unerträglich. Am Schlimmsten war es in Nicaragua, da die Bevölkerung dieses Landes teilweise noch in sehr ärmlichen Verhältnissen lebt und die Schulen nur äusserst sporadisch über die Auswirkungen auf die Umwelt bei einem solchen Umgang mit Abfall unterrichten. In den etwas wohlhabenderen Ländern, wie Costa Rica, Panama, aber auch in Kolumbien und Ecuador konnten wir schnell sehen, dass – vor allem in den grösseren Städten – ein gewisses Wissen betreffend dem Umgang mit Abfall vorhanden war. Immer wieder sahen wir Abfalleimer mit Mülltrennung (Plastik, Papier, Nicht-Recyclebares), Batteriesammelstellen, PET-Flaschen hergestellt aus weniger Plastik, Strassentafeln mit dem Verbot Abfall in der Umwelt zu entsorgen, Hinweisschilder in Hotels, dass man Wasser, Papier und Licht sparen soll, sowie Strassenkünstler welche mit Graffitis auf das Problem mit unserer Umwelt aufmerksam machten. In grösseren Städten, wie beispielsweise Medellin in Kolumbien wurden Sharing-Velosysteme realisiert zur Förderung von nicht-motorisierten Verkehrsmitteln und zur Verminderung des CO2-Ausstosses.

 

Ressourcen und Rohstoffe

Leider war die falsche Handhabung mit dem Abfall nicht der einzige Missstand. Fast genauso schlimm stand es um den Umgang mit Ressourcen und Rohstoffen. So wurden Wälder für Golfplätze im Jungel gerodet, wie auch für die Erdölgewinnung oder den Holzhandel. Nationalparks wurden mit Häusern zugebaut, alte Fahrzeuge im Wald „entsorgt“, oder der Plastikabfall auf Wiesen verbrannt.

Da vor allem Kolumbien sehr reich an Rohstoffen ist, wie Gold, Smaragde, Kohle, Erdöl, Salz, Bananen und Kaffee, besitzt das Land auch dementsprechend viele Minen und Plantagen. Diese Orte schaffen zwar Arbeitsplätze, sie sorgen aber auch für Waldrodungen, Konflikte (mit der indigenen Bevölkerung, wie auch zwischen den Arbeitsnehmern), Krankheit und Tod (teilweise unmenschliche Zustände in den Minen) sowie grosse Umweltbelastung (durch die Gewinnung/den Abbau und den Transport der Rohstoffe).

 

Tierwohl

Schlimm stand es leider oft auch um das Tierwohl. Kühe mussten auf müllverwüsteten Weiden „grasen“, Küken und Kaninchen wurden zusammengepfercht in kleinen Metallkäfigen ohne Stroh gehalten und ÜBERALL wo wir hinschauten gab es streunende und völlig abgemagerte Hunde, die im Abfall nach Essbarem suchten oder Menschen anbettelten.

In Costa Rica waren sich die Tiere in den Nationalparks teilweise die Menschen schon so gewohnt, dass sie den Touristen Dinge aus den Taschen klauten. Es war zwar witzig mitanzusehen wie die Leute ihren geklauten Sonnencremes oder Sandwiches nachrennen mussten, aber traurig für die Tiere, da sie durch die vielen Besucher keine natürliche Umgebung mehr kennen. Menschen dringen immer mehr in die Reviere der Tiere ein, so sehr, dass sich die Tiere wehren müssen. Auf einer mit Jungel bewaldeten Insel, haben wir mit einem Bauarbeiter gesprochen, welcher für die Elektroinstallation eines neu erstellten Hauses zuständig war. Er erzählte uns, dass sich die Affen von den Menschen bedroht fühlen und die Bauarbeiter von den Bäumen herab mit Kot bewerfen… Wir durften es dann auch gleich Live miterleben!

 

Menschen und Arbeit

Nicht nur Tiere werden von ihrem natürlichen Lebensraum verdrängt, sondern auch Menschen. Viele indigene Völkergruppen werden umgesiedelt oder ihnen wird Land weggenommen, meistens aufgrund der Erdölgewinnung. Auch durch die Erstellung von Parks in Gebieten der Einheimischen, werden ihre Reviere durch den Tourismus „verwüstet“ oder die Indigenen werden in ihrem Alltag eingeschränkt.

Auch das Sozialsystem scheint nicht wirklich zu funktionieren, oder sogar gar nicht erst vorhanden zu sein. Vor allem in grösseren Städten gibt es extrem viele Bettler und Arbeitslose, welche auf der Strasse leben. Wir sahen auch vielen Menschen, welche auf den Strassen oder in Bussen Kaugummis, Bonbons, Plastiksäcke, Zigaretten oder andere Sachen verkaufen sowie Schuhe putzen, um sich über Wasser zu halten. Am meisten sind wohl die jungen (nach der obligatorischen Schulpflicht und ohne Berufsbildung) oder alten Menschen (nach der Pensionierung) betroffen. In den meisten Ländern werden zwar kostenlose Schulen für Kinder bis circa 14 Jahre angeboten, was mit ihnen jedoch danach geschieht, steht in den Sternen. So kommt es auch, dass viele Jungendliche ohne Berufsausbildung dastehen, kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und deshalb meist arbeitslos sind, bei ihren Familien auf den Farmen mitanpacken müssen oder, wie eben erwähnt, auf den Strassen Süssigkeiten verkaufen. Wenn "man" dann aber mal einen Job hat, dann – wohl aus finanziellen Gründen – fast bis ans Lebensende. Wenn wir in der Schweiz mit rund 65 Jahren pensioniert werden, schleppen dort die über achtzigjährigen Frauen schwere Strohkörbe gefüllt mit Rohstoffen aus der Landwirtschaft auf ihren Köpfen herum und genauso alte Männer arbeiten mit der Sense oder Pestizidflaschen auf den Feldern. Apropos Pestizide: Bio gibt es dort natürlich auch. Jedoch war mir nicht so ganz klar, was „Bio“ in diesen Ländern genau bedeutet und oftmals sind diese Erzeugnisse so teuer, dass sich nur reiche Menschen oder Touristen diese Produkte leisten können.

 

"Öko-Tourismus" und "Eco-Lodge"

Vor allem in Costa Rica und Panama, aber auch in anderen Ländern waren die Begriffe „Öko-Tourismus“ oder „Eco-Lodge“ ein ganz grosses Ding. Überall wo es nur ging wurden diese Worte genutzt, wohl vor allem um die Werbetrommel zu schlagen. Für mich stellten sie sich eher als „Unworte“ heraus. Denn was genau ist eigentlich „Öko-Tourismus“? Laut Wikipedia handelt es sich dabei um „eine auf die Belange von Umwelt und ansässiger Bevölkerung besondere Rücksicht nehmende Form des Tourismus.“

Fakt war jedoch, dass man mit Motorbooten oder halbleeren Bussen in abgelegene „Eco-Lodges“ gebracht wurde, für welche vermutlich zuerst noch der Wald gerodet werden musste. Uns wurde bei einer solchen Lodge im Jungel mal erzählt, dass sie sehr sorgsam mit der Flora und Fauna umgehen müssen und keine Pflanzen zerstören dürfen. Zwei Minuten später stand das Personal mit dem Bezin-Rasenmäher auf der Wiese und unser Guide hackte sich mit seiner Machete den Weg durch den Jungel frei. Ähhhm, ja…

Auch der respektvolle Umgang mit den Tieren hat mir gefehlt. Sobald unser Guide ein Tier im Jungel „gespottet“ hatte, wollte er es fangen, damit es auch ja alle „Touris“ sehen konnten. Er liess verstörte Spinnen über seinen Körper wandern und zog Schlangen von Bäumen herunter.

Auch die „Rücksicht auf die ansässige Bevölkerung“ war für mich ein Rätsel. Denn man konnte verschiedene indigene Völkergruppen besuchen, welche einem das Leben im Jungel „vorführten“. Für uns tönte das eher nach einer Völkerschau, weshalb wir dann auch danken darauf verzichteten.

Eine „Eco-Lodge“ ist übrigens oft eine einfache Behausung aus Holz ohne viel Komfort dafür zu einem saftigen Preis. In den Duschen liegt überall Laub und in den WC`s hängen „Killerspinnen“. Aber hey, ist natürlich alles im Einklang mit der Natur!

Fazit

Was den „Öko-Tourismus“ angeht, da spalten sich wohl die Geister. Jedoch bin ich der Meinung, dass hier einheitliche und unmissverständliche Definitionen fehlen, sowie vermehrte Kontrollen durchgeführt werden müssen, um zu verhindert, dass sich jeder, der das grosse Geld riecht, als „Eco-Lodge“ bezeichnen oder „Eco-Touren“ anbieten kann.

 

Bezüglich den anderen Themen, denke ich, dass viele umweltschädigende Umstände durch eine fokussierte Sensibilisierung und Bildung der Bevölkerung – auch, oder vor allem in ärmeren Gebieten – stark verbessert werden könnten. Dafür ist es aber wichtig, dass Kinder in ebendiesen Gebieten auch freien Zugang zu Schulen und Bildung haben.

Weiter muss die Gewinnung und der Handel von Rohstoffen stärker kontrolliert, faire Löhne ausbezahlt und gerechte Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Das Sozialsystem muss revolutioniert, indigene Gruppen respektiert und Tiere als vollwertige Lebewesen anerkennt werden.

 

In Lateinamerika muss noch einiges passieren, damit das Wissen und die Erkenntnis über das Verhalten, welches der Umwelt schadet, fruchten.

Beim Reisen durch Zentral- und Südamerika merkten wir jedoch, dass die Menschen in diesen Ländern, noch mit weitaus anderen - für sie vielleicht auch dringenderen - Problemen zu kämpfen haben. Die Angst vor Krieg, Konflikten und Identitätsverlust ist trotz „der Zeit des Friedens“ noch gross. Solange die Länder noch „instabil“ sind, wird der Fokus nicht gross auf die Umwelt gelegt, sondern auf die Stabilisierung des Landes. Was wir jedoch auch bemerkten, war, dass die „stabileren“ Länder auf einem guten Weg sind und, wie weiter oben bereits erwähnt, sich mit unterschiedlichen Massnahmen bereits für eine sauberere und gesündere Umwelt einsetzen.

 

Schlussendlich muss ich jedoch sagen, dass diese Reise - trotz des oft noch fehlenden Verständnisses bezüglich der Nachhaltigkeit - wohl eine der unvergesslichsten und schönsten Reisen meines bisherigen Lebens war. Ich lernte wahnsinnig viel über verschiedenen Kulturen, konnte mir eine neue Sprachen aneignen und die (abgesehen vom Abfall) wunderschöne Natur geniessen. Die Menschen sind wahnsinnig freundlich und hilfsbereit, da könnten sich noch so einige von uns Schweizern eine Scheibe von abschneiden.

Ich kann es jedem nur empfehlen, denn so eine Reise erweitert den eigenen Horizont, in schönen wie auch in weniger schönen Bereichen. So oder so, man lernt sein eigenes Glück mehr zu schätzen, im doch sehr stabilen und fortschrittlichen Europa geboren zu sein, und unserem breiten Wissen über die Umwelt und die Auswirkungen unseres Verhalten darauf noch mehr Achtung zu schenken!

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